Gefährdet Windkraft unser Trinkwasser?    

Von Windkraftgegnern wird immer wieder behauptet, mögliche Windkraftanlagen in Niedernhausen würden unser Trinkwasser gefährden. Helmut Murr von „Nachhaltiges Niedernhausen“ sprach darüber mit seinem Nachbarn, dem Wasserexperten Dr. Peter Seel.

Dr. Seel ist Diplomchemiker und Diplombiologe und war bis zu seinem Ruhestand Dezernatsleiter für Gewässergüte im Hessischen Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie (HLNUG).

Murr: Führen Windkraftanlagen in den Niedernhausener Vorrangflächen zu Gefährdungen für unser Trinkwasser und Grundwasser?

Dr. Seel: Man muss unterscheiden zwischen Bau und Betrieb.

Beim Betrieb gibt es keine Gefährdungen, die über das normale Maß bei der Bewirtschaftung eines Waldes hinausgehen. Regenwasser, dass vom Turm oder den Fundamenten abfließt, kann direkt daneben zur Versickerung gebracht werden und enthält keine kritischen Schadstoffe. Prinzipiell kann ein Wartungsfahrzeug bei einem Unfall im Extremfall seinen gesamten Kraftstoff verlieren. So etwas kommt in Deutschland täglich auf unseren Straßen vor. Dann muss möglichst schnell der kontaminierte Boden ausgebaggert und entsorgt werden, damit sich die Schadstoffe nicht weiter ausbreiten können. Unser Wirtschaftswald wird aber schon heute in größerer Häufigkeit von schweren Erntemaschinen und LKW für den Holztransport befahren, für die dieses Risiko genauso gilt.

Beim Bau gibt es einen kritischen Zeitraum: Zum Gießen der Fundamente muss der ohnehin geringmächtige Boden abgetragen werden, so dass für 2 bis 4 Tage keine schützende Bodenschicht vorhanden ist, die austretenden Kraftstoff oder Hydrauliköl aufnehmen kann. Im Extremfall könnten dann Spalten im Fels offenliegen, durch die Schadstoffe weitertransportiert werden und nicht mehr ausgebaggert werden können. Daher muss je nach Standort mit entsprechendem Aufwand gewährleistet werden, dass dies nach menschlichem Ermessen nicht passiert.

Dr. Peter Seel

Diplom-Chemiker und Diplom-Biologe

War bis zu seinem Ruhestand Dezernatsleiter für Gewässergüte im HLNUG

Murr: Warum hat das Regierungspräsidium Darmstadt den Bau von Windkraftanlagen auf der hohen Wurzel in Wiesbaden aus Gründen des Trinkwasserschutzes abgelehnt und gibt es nicht vergleichbare Argumente für Niedernhausen?

Dr. Seel: Jedes Windkraftvorhaben durchläuft vor der Genehmigung eine Prüfung. Zum Trinkwasserschutz wird von dem zuständigen Hydrogeologen des HLNUG eine gutachterliche Stellungnahme abgegeben, die Grundlage für die Entscheidung des Regierungspräsidiums ist vor dem Hintergrund des in Deutschland sehr strengen Rechts zum Grundwasserschutz. Im konkreten Fall ging es um eine hydrogeologische Besonderheit: Wiesbaden betreibt kilometerlange Längsstollen im Taunusgebirge, durch die 30% des Wiesbadener Trinkwasserbedarfs gedeckt werden. Die geplanten Anlagen liegen oberhalb solcher Stollen mit Taunusquarzit als Gestein, dass durch kleine Spalten und Risse wasserdurchlässig ist. Der im Taunus vorherrschende Schiefer ist dagegen wasserundurchlässig.

Das HLNUG hatte in seiner Stellungnahme auf die örtlich besonderen Risiken hingewiesen und der RP damit die Ablehnung des Bauantrags begründet. Das ist meines Wissens der einzige Fall, bei dem bisher das HLNUG in unserer Region eine so kritische Stellungnahme zu dieser Fragestellung abgegeben hat.

Die Wiesbadener Stadtwerke haben allerdings gegen diese Entscheidung geklagt und vor dem Verwaltungsgericht Wiesbaden Recht bekommen (Aktenzeichen: 4 K 2962/16.WI). Das Gericht argumentiert, dass die Ablehnung des Bauantrags nicht verhältnismäßig ist, da durch Auflagen im Genehmigungsbescheid das Umweltrisiko erheblich reduziert werden kann.

Zitat aus der Urteilsbegründung: „Nach diesen Grundsätzen ist aufgrund der Umstände des vorliegenden Falles eine Verunreinigung des Grundwassers nicht zu besorgen, da es Vorsorge- und Vermeidungsmaßnahmen gibt, unter deren Berücksichtigung der Schadenseintritt hinreichend unwahrscheinlich ist.“

Solche Maßnahmen sind z. B. die Bauüberwachung durch einen Hydrogeologen in der kritischen Phase, ggf. Abdichten von Spalten im Gestein, künstlicher Schutz mittels Auf-bringung von Geotextil-Bentonitmatten im Böschungsbereich, ggf. elektrisch betriebene Maschinen etc..

Wenn schon in einem so sensiblen Bereich wie der hohen Wurzel der Bau von Windkraftanlagen möglich ist, gibt es nach meiner Einschätzung an den Niedernhausener Standorten keine Probleme. Unsere Trinkwasserbrunnen sind relativ weit von den Vorranggebieten entfernt; das Vorranggebiet 2-385 am Hahnberg, dem einzigen, bei dem Niedernhausen 100% der Fläche besitzt und nicht nur einen kleinen Anteil, liegt außerhalb von Trinkwasserschutzzonen. Dagegen liegt der Großteil der Bebauung von Oberjosbach und der komplette Schäfersberg und weitere Teile von Niedernhausen in einer Trinkwasserschutzzone III, ohne dass sich jemand aufregt, wenn eine Baugrube ausgehoben wird. Unsere Landesstraßen L3026 und L3028 führen mitten durch Trinkwasserschutz-gebiete, nördlich der Farnwiese in Richtung Idstein durchschneiden sie sogar die strengere Schutzzone II. Auf diesen fahren fast täglich Tanklastwagen mit zig Kubikmetern an Benzin, Diesel, Heizöl oder anderen wassergefährdenden Flüssigkeiten. Sogar die Autobahn im Bereich der Auf- und Abfahrt liegt im Wasserschutzgebiet III. Eine Havarie solcher Fahrzeuge ist das eigentliche Risiko und nicht der Bau eines Fundaments für Windkraftanlagen unter strenger Aufsicht.

Klar ist, dass das HLNUG jeden Bauantrag streng nach den Kriterien des Grundwasserschutzes prüfen wird und die Gemeinde, aber auch jede/r Bürger/in das Ergebnis dieser Prüfung erhalten kann.

Murr: Wie ist denn Deine persönliche Meinung zu der Problematik?

Dr. Seel: Ich habe mich mein ganzes Berufsleben für Gewässerschutz und Umweltschutz eingesetzt und mache das ehrenamtlich auch weiterhin. Wenn tatsächlich unser Trinkwasser gefährdet wäre, wäre ich der erste, der dagegen protestieren würde.

Ich werde beim Bürgerentscheid mit „Ja“ stimmen. Die Vorranggebiete wurden nach objektiven Kriterien festgelegt mit der Absicht, dass dort auch gebaut wird. Daran war auch die CDU in der regionalen Planungsversammlung maßgeblich beteiligt. Wenn sich nun überall das Prinzip St. Florian durchsetzen würde, können die nötigen Strommengen nie produziert werden. Meine Entscheidung ist auch dadurch erleichtert, dass auf den fraglichen Flächen keine ökologisch besonders wertvollen alte Bäume wachsen und ein erheblicher Teil des Baumbestands bereits durch den Klimawandel abgestorben ist. Es kann also keine Rede davon sein, dass für die Anlagen im nennenswerten Umfang Wald geopfert werden müsste.